Veröffentlicht am 18. November 2019 von Juan Proll
Gandhi lebte in Südafrika
Für viele ist es eine Traumreise, für mich ist es ein Job – und einer, den ich jeden Tag unglaublich gerne mache. Als Tour Guide nehme ich Reisende mit durch das südliche Afrika. Unterwegs erlebe ich Aufregendes, Wissenswertes, Skurriles, Lustiges und Unerwartetes. Wusstest Du, dass Gandhi in Südafrika lebte? Davon will ich euch heute in meinem Blog erzählen.
Gandhi in Südafrika: Flug-Bekanntschaften
Starten möchte ich heute mit einem Erlebnis auf einem meiner letzten Inlandsflüge in Südafrika. Das Sitzplatzlos bescherte mir ein indisches Pärchen als Nachbarn. Als ich komme, schauen sie mich lächelnd an und erwartungsvoll zugleich. Kaum, dass sich unsere Blicke treffen, lösen sich meine konzentrierten Konturen in eine entspannte Miene:
„Godday“, sage ich flapsig, schiebe aber schnell noch ein eher formales „How are you?“ hinterher. “Good“, erwidert der Mann, lächelnd und mit leicht schwenkendem Kopf. „How are you?“, fragt nun auch er. “I’m great. Thank you“, beende ich den Einstieg und lasse mich plump in meinen Sitz fallen. Ich will in meine Gedankenwelt zurück, mich auf meine Arbeit fokussieren. Immerhin betreue ich gerade Elefant-Tours-Gäste auf einer laufenden „Faszination Südafrika“-Reise.
Schnell bemerke ich aber, dass beide immer noch lächelnd zu mir herübersehen, und weiterhin erwartungsvoll. Schon bricht der Mann das Schweigen: „Where are you from?“, will er wissen. „Germany“, antworte ich. Und da Ein-Wort-Antworten hier als unhöflich gelten, ergänze ich schnell: „I’m from Germany.“ Dann holt die Frau unter ihrer Kleidung einen Geldschein hervor und reicht ihn an ihren Mann weiter. Der nimmt ihn und gibt ihn mir: „From India“, erklärt er. Ich greife zu und sehe sofort das Bild darauf. Es ist Mahatma Gandhi. „Oh“, sage ich, „that’s Gandhi“. Dabei blicke ich auf und sehe nun beide mit ihren Köpfen schunkeln.
„Did you know – und jetzt schreibe ich auf Deutsch weiter –, dass Gandhi in Südafrika knapp 21 Jahre seines Lebens verbrachte?“ Wieder pendeln ihre Köpfe in der indisch-typischen Bewegung für Zustimmung. Und ob sie das wussten: “Wir machen hier Urlaub auf den Spuren von Gandhi in Südafrika, waren in Durban auf einer Konferenz und im Phoenix Settlement. Jetzt reisen wir nach George, dann nach Kapstadt,“ erklären sie mir. “Wow“, bewundere ich ihr Interesse. „Gandhis Leben und Wirken in Südafrika war so extrem wichtig für seine Entwicklung zum Freiheitskämpfer in Indien. Viele wissen nicht einmal, dass er hier war.“ Sie lächeln zustimmend.
Als ich ihnen den Schein zurückgeben möchte, lassen sie mich verstehen, dass ich ihn behalten kann. Ich bedanke mich herzlich, stecke die Banknote sorgfältig weg und lehne mich wieder zurück in die Polsterung. Doch anstatt dass sich meine Gedanken auf die Fortsetzung unserer Reise in Richtung Wilderness und der Garden Route konzentrieren, feiern sie eine Erinnerungsparty mit meinem letzten Besuch im Phoenix Settlement.
Geheimtipp Phoenix Settlement in Durban
Das Phoenix Settlement in Durban ist immer noch so etwas wie ein Geheimtipp. Nur wenige Reisende kennen es. Kaum einer wagt sich allein dorthin. Entweder weil es außerhalb von Durban liegt oder weil es mitten hinein in ein Township führt. Beides sollte aber wirklich nicht abschrecken. Zumal es eben auch genau diese Gelegenheiten bietet, mal etwas vom Hinterland zu sehen und dabei noch ein Township kennen zu lernen. Wer sich unwohl fühlt, kann das auch mit einem Guide machen. (Das Tourism KwaZulu-Natal Office im Ithala Trade Centre, 29 Canal Quay Road, Point, in Durban, Tel. 031 366 7500, hilft mit Guide-Empfehlungen weiter / Alternativ: Inanda Tourism +27(0)31 322 2856)
Das Phoenix Settlement (GPS: -29° 42′ 27.50″ +30° 58′ 34.95″) ist für alle Gandhi-Interessierten absolut empfehlenswert. In der 1904 von Gandhi in Südafrika gegründeten Siedlung – eine weitestgehend autark lebende Landkommune mit strengen Regeln und einer spartanischen Lebensführung – haben bis heute noch ein paar Gebäude inmitten des Townships überlebt. Das alte Zeitungshaus und Gandhis einstiges Wohnhaus, das heute zu einem Gandhi-Museum umgebaut ist, gehören dazu. Nirgendwo außerhalb Indiens fühle ich mich Mahatma Gandhi so nah, wie hier. Es ist der Ort, von wo Gandhi seine Ideen des gewaltlosen Widerstands und des zivilen Ungehorsams entwickelt. Von hier organisiert er die indische Bevölkerung Südafrikas, vermittelt er Überlebensstrategien, druckt er seine Zeitung „The Indian Opinion“ und leitet er Gebete und Studien über soziale Gerechtigkeit und Frieden. Seine Prinzipien der Wahrheitskraft (Satyagraha), der Gewaltlosigkeit (Ahimsa) sowie des Wohlergehens aller (Savrodaya) nutzt Gandhi in Südafrika, um den Minenarbeitern in den Bergwerken und den Erntehelfern auf den Zuckerrohrfeldern bei der Erlangung von Rechten zu unterstützen, Frauen von kultureller Unterdrückung zu befreien und soziale Ungerechtigkeiten zu bekämpfen.
Mit seinem Wirken gibt er den indischen Migranten in Südafrika Hoffnung, befreit er Indien aus der Abhängigkeit der britischen Kolonialmacht und inspiriert er Martin Luther King sowie Nelson Mandela zu eigener Größe.
Gandhi in Südafrika – ein demütigender Start
Ursprünglich will Gandhi in Südafrika nur für ein Jahr bleiben. Er kommt als junger Anwalt 1893 ins Land, im Auftrag eines indischen Unternehmens mit einer Dependance in Durban und einem Streitfall vor dem Gericht in Pretoria. Für die Fahrt von Durban nach Pretoria erwirbt er ein 1. Klasse Zugticket und macht sich auf den Weg. Völlig unbedarft und gemütlich in der ersten Klasse sitzend erlebt er aber schon wenig später die ganze Härte südafrikanischer „Rassen“- Diskriminierung. Obwohl er ein Ticket der ersten Klasse in den Händen hält, wird er auf Betreiben eines weißen Mannes wahllos aus dem Zug geworfen. Mehrmals fordert ihn der Zugschaffner auf, in die hintere dritte Klasse zu verschwinden. Immer wieder pocht Gandhi auf sein Ticket gegebenes Recht. Die Auseinandersetzung endet auf dem Bahnhof von Pietermaritzburg, auf einem Bahnsteig in winterlich kalter Nacht. Eine Gedenktafel in der Halle erinnert noch heute daran.
Gandhi beschreibt dieses Erlebnis später als „die kreativste Erfahrung“ seines Lebens. Er pochte darauf, kein Schwarzer zu sein, war für die Weißen aber nur ein „Farbiger“. Er war noch dazu Inder, gehörte einer hohen Kaste an, wuchs also in einem Klassensystem auf, indem er nur Respekt statt Diskriminierung erfuhr. Doch plötzlich ist alles so anders. Aus dieser Erfahrung entfalten sich seine Einsichten und Entwicklungen hin zu Überzeugungen von Gleichheit und Gerechtigkeit. Aus ihm wird „Mahatma“, die große Seele.
In diesem Jahr feiert die indische Kommune in Südafrika seinen 150. Jahrestag.
Erneut bemerke ich die Blicke meiner Sitznachbarn, immer noch lächelnd, immer noch erwartungsvoll. Ich schaue sie an, lächle zurück und frage mich, was wohl als Nächstes kommt.
Prompt platzt es aus ihm heraus: „Hast du Euros?“ …
Das Phoenix-Settlement könnt ihr ganz bequem in einer Selbstfahrerreise in Südafrika einbauen. Meldet euch bei uns und wir planen gemeinsam.