Veröffentlicht am 2. November 2015 von Juan Proll
Robben – so weit das Auge reicht
Der Weg führt von Swakopmund ca. 1 ½ Stunden entlang der Küste Richtung Norden durch die unbarmherzige Öde der Namib-Wüste. Allein Wlotzkasbaken amüsiert die Augen – eine Feriensiedlung, die sich ohne Wasser- und Elektrizitätsanschluss aber mit bunten Häusern und einem Minimum an hochgezogenen Zäunen zum originellsten Urlaubsort des Landes gemausert hat.
Irgendwann dahinter stellt man sich die Frage, was man eigentlich hier macht und ob sich dieser Aufwand überhaupt lohnen kann. Es ist genau dieser Moment, der die Erwartungen auf ein Minimum herunterschraubt und gleichzeitig die Sinne öffnet für ein Maximum an Wunder, das die Tierwelt zu bieten hat: Robben so weit das Auge reicht.
Wenn Cape Cross erreicht und die Robbenkolonie in Sicht ist, füllt sich der Bauch mit Schmetterlingen der Freude. Schon bei der Ankunft am Parkplatz wird man von den ersten dieser südafrikanischen Seebären begrüßt, etwas mürrisch aber wohlwollend. Die große Masse hält sich jedoch jenseits des Laufstegs auf, der aus 35t recyceltem Plastik hergestellt ist und dem Gast Sicherheit bietet. Es ist nicht immer leicht, das Gatter zu erreichen, ohne im Zickzack-Kurs durch die Vorhut-Bataillon der Meeresgeschöpfe zu laufen. Hat man aber erst einmal das Tor passiert und blickt auf den Küstenstreifen vor sich, kennt die Faszination keine Grenzen mehr. Vor einem liegen bis zu 250.000 Robben auf nasskaltem Gestein.
Sie heulen wie Ziegen oder Schafe. Der Gestank nach ihren freizügig veräußerten Exkrementen ist scharf und stechend in der Nase. Der einstige Picknick-Bereich für Besucher ist invadiert und vollgeschissen. Und doch mag man nicht wegschauen oder angewidert davonlaufen. Im Gegenteil: Man ist mitten unter ihnen und will nicht wieder weg. Ihnen so nahe zu sein – das können selbst die Zoos dieser Welt nicht bieten und auch nicht Seaworld. Die Versuchung, sie zu streicheln ist so groß, wie beim eigenen Familienhund. Und für die Zeit, die man dort ist, spürt man deutlich, an ihrem Leben teilzuhaben.
Sie liegen nebeneinander, aufeinander und ineinander. Die Großen halten entweder ein Nickerchen oder baden im Meer. Die Kleinen spielen miteinander und saugen zwischendurch ihr Erfrischungsgetränk aus Mamis Brust. Unter ihnen tummeln sich auch dicke Möwen und andere Meeresvögel. Sie fressen nicht nur die Nachgeburt sondern ebenso Teile verstorbener Jungtiere. Seltener sieht man Schakale. Sie sind in dieser Region Robbenfleisch-Gourmets geworden sind und sich gerne mal mit einem frischen Stück verwöhnen.
Es ist die Masse, die beeindruckt. Es sind die kleinen Geschichten und Familiendramen, die verzücken. Und es ist die Nähe zu ihnen, die es zu so einem unvergesslichen Erlebnis macht: Tag für Tag, Jahr für Jahr.
Diese Spezies hat es tatsächlich geschafft, ihren Lebenszyklus weitestgehend zu synchronisieren, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Es beginnt im Oktober/November, wenn die Bullen mit einem Kampfgewicht von bis zu 350 kg an Land kommen. Notfalls mit Gewalt reklamieren sie für sich ein Territorium für die anstehende Paarungszeit. Es folgen die hochschwangeren Weibchen, die bei ihrer Geburtsbett-Wahl ebenfalls sehr anspruchsvoll für ihre Interessen eintreten. Ist das richtige Plätzchen und der Schutz eines der Kolosse gefunden, geht im Dezember/Januar das Gebären los. Jetzt ist der Moment, wo die Kolonie gigantische Ausmaße annimmt und in jedem Besucher beim bloßen Anblick des Nachwuchses Mutter- und Vatergefühle weckt.
Fünf bis sieben Tage verbringen die Mamas sehr eng mit ihren Neugeborenen. Dann verspüren sie ihre Paarungswilligkeit und lassen sich von den ungeduldig wartenden Männchen begatten. Damit sie aber zunächst einmal für die Kleinen eine gute Mama sein können, werden die Spermien in die Vorratskammer gesteckt. Erst nach 4 Monaten kommen sie zur Befruchtung der Eizelle heraus und leiten die nächste Schwangerschaft ein. Acht Monate später ist es dann die nächste Generation, die den Atem der Angereisten ins Stocken bringt.
Süß und unbeholfen robben sie über stolpriges Terrain mitten hinein in die Herzen der Besucher.
So bleibt niemand unberührt. Und während man noch mit seinen Gedanken an das zuvor Erlebte beschäftigt ist, hat man auch schon wieder Swakopmund erreicht. Glücklich und ausgefüllt geht es zum Abendessen, wo man sich bei leckerem Fisch gerne noch einmal über die Faszinationen Namibias austauscht.