Veröffentlicht am 7. September 2015 von Juan Proll
Im Auge des Chamäleons
Es ist noch gar nicht so lange her, als ich bei einem meiner Besuche im Krüger Nationalpark fast ein Chamäleon überfahren hätte. Ich sah es noch rechtzeitig vor mir auf der Straße schunkeln und fuhr beglückt links ran.
Der kleine Farbwechselspezialist drehte sich im Kreis wie Hunde es manchmal machen, wenn sie an ihrem Schwanz knabbern wollen aber nicht richtig dran kommen. Ähnlich wie meine Gäste wunderte ich mich, warum er das überhaupt tat, vor allem so ausgiebig tat. Schließlich sind Chamäleone nicht dafür bekannt, um irgendwelche heiligen Feuer zu tänzeln oder Regen herauf zu beschwören.
Es dauerte nicht lange, bis wir bemerkten, dass es nur ein Auge hatte. Vielleicht war das die Erklärung für dieses merkwürdige Verhalten, welches mir durchaus bei Tieren bekannt ist, die irgendwelche Mittelohr-, Nerven-, Hirn- oder generell traumatische Schädigungen haben. Chamäleons haben hochentwickelte Augen, mit denen sie bis zu etwa einem Kilometer scharf sehen und die sie unabhängig voneinander bewegen können. Letzteres ermöglicht ihnen ein Blickfeld um die 342° oder gar mehr. Sie können gleichzeitig nach vorne und nach hinten schauen. Das bedeutet einen kaum vorhandenen toten Winkel. Der Mensch erreicht bei starrer Kopfhaltung gerade mal ein Blickfeld um die 120°.
Wir können bei der Augenqualität der Chamäleons eigentlich nur vor Neid erblassen, aber sicher auch leichter verstehen, wie wichtig die Augen für das Chamäleon sind, um sich zu schützen. Jetzt nur mit einem Auge unbeholfen durch die Gegend zu laufen war also lebensbedrohlich für dieses Wunderwerk der Tierwelt. Das Auge dieses Lappenchamäleons war ständig auf die Innenbahn gerichtet und das arme Tier selbst auffallend um Balance bemüht.
Unsere anfängliche Freude wich und Sorgen machten sich breit, wie es denn mit diesem armen Kerl weitergehen würde. Als Ranger bin ich in solchen Momenten leider auch für die schlechten Nachrichten verantwortlich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es derartig geschwächt von Fressfeinden gefunden und gefuttert wird: Schlangen, Vögel, Wildkatzen, … so eine einfache Beute bietet sich einfach für zu viele an.
Schade, denn allzu häufig sieht man diese Tiere nicht auf den Safaris. Nicht nur, weil sie Künstler der Tarnung sind, sondern auch, weil nahezu alle Chamäleon-Arten, wovon es über 200 gibt, in ihrem natürlichen Lebensraum vom Aussterben bedroht sind. Sie fallen deshalb unter das Washingtoner Artenschutz-Abkommen.
Hier in Afrika sind Chamäleone auf dem gesamten Kontinent verteilt. In mancher Region hat ihnen die Besonderheit ihrer Augen einen besonderen kulturellen Status verschafft, weil sie mit der Fähigkeit nach hinten, seitlich und nach vorn gleichzeitig zu blicken, als Symbol für die Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gelten.