Veröffentlicht am 24. Mai 2021 von Juan Proll
Lohnt sich ein Besuch in Kolmanskuppe: Deutsche Geisterstadt in Namibia
Die alte deutsche Kolonialstadt Kolmanskuppe, oder Kolmanskop auf Afrikaans, ist ohne Frage ein Höhepunkt einer jeden Rundreise im südlichen Namibia. Einst war sie das mondäne Zentrum der Diamanten-Industrie von Deutsch-Südwestafrika. Heute zeugen nur noch die verlassenen Häuser von der vergangenen Pracht.
Geblieben ist der mystische Flair einer Geisterstadt: Zerfallene und vom Wüstensand verschüttete Gebäude einerseits. Noch gut erhaltene und sich tapfer gegen die Naturgewalt stemmende Strukturen andererseits. Das Bild wirkt daher surreal, die Szenerie künstlerisch. Ihr Anblick schafft einen schier unwiderstehlichen Reiz, näher zu kommen und einzutauchen in diese vergangene Welt.
In meiner kleinen Trilogie möchte ich euch die Geisterstadt Kolmanskop näherbringen. Drei Fragen versuche ich dabei nachzugehen, dessen Antworten euch hoffentlich noch mehr Appetit machen, den Ort bei Lüderitz zu besuchen, zum Beispiel auf einer Selbstfahrer-Tour:
- Was in aller Welt bringt Menschen dazu, Kolmanskuppe in die Wüste zu bauen?
- Wie gestaltet sich der Aufbau von Kolmanskuppe und was bewirkt ihren Fall?
- Warum ist ein Besuch der Geisterstadt Kolmanskuppe so cool und eine echtes Namibia-Abenteuer zugleich?
Im dritten Teil geht es heute darum, warum sich ein Besuch in der Geisterstadt Kolmanskuppe auf jeden Fall lohnt und was ihn so besonders macht.
Geisterstadt Kolmanskop – eine Fata Morgana in der Wüste
Vom Beginn des Aufbaus der Diamantenstadt Kolmanskuppe bis zum Wegzug der letzten Bewohner*innen vergehen gerade mal 48 Jahre. Die Weltwirtschaftskrise und neue, noch viel reichere Diamanten-Fundstellen läuten das Ende dieser Epoche ein.
August Stauch verliert durch die Große Depression sein Vermögen, das er in verschiedenen Unternehmensprojekten investiert hatte. Verarmt und krank fällt er zurück in den Schoß seiner deutschen Heimatstatt Ettenhausen an der Suhl. Er verstirbt 1947.
Neun Jahre später verlassen die letzten Bewohner*innen Kolmanskuppe. Eine formelle Bestattung gibt es aber keine. Das Begräbnis überlässt man ehrenlos den Wüstenstürmen. ‚Grabräuber’ nehmen sich zuvor, was sie gebrauchen können – Metalle, Möbel, sonstige Gegenstände. Dann ist endlich Ruhe und Kolmanskuppe wird zur Geisterstadt.
23 Jahre folgen, in denen Menschen nur an diesem Ort vorbei- aber nicht hineinfahren. Der Zugang ist allein mit einer Spezialerlaubnis möglich. Fotografieren geht deshalb nur auf Distanz.
Gut möglich, dass sich in den analogen Fotos jener Jahre das Gefühl besonders stark widerspiegelt, nicht glauben zu können, was man da sieht, wenn man das erste Mal auf die Geisterstadt Kolmanskop zusteuert. Stehen da wirklich Häuser? Haben dort tatsächlich mal Menschen gelebt? Oder ist es doch nur eine Fata Morgana?
Erst 1979 beginnt die Consolidated Diamond Mines of SWA Ltd. (CDM), die Geisterstadt Kolmanskop als Museum zu entwickeln. Einige Häuser werden restauriert, Ausstellungstücke präpariert. Doch erst nach der Unabhängigkeit des heutigen Namibias im Jahre 1990 beginnt der Tourismus so langsam wirklich Fahrt aufzunehmen.
Über den Mond in die Vergangenheit
Ich liebe es, mit meinen Gruppen auf Namibia-Rundreisen die Geisterstadt Kolmanskop zu besuchen. Zeitig los geht es morgens von Lüderitz, der südlichsten Hafenstadt, um möglichst noch eine Viertelstunde vor Beginn der 9:30-Uhr-Führung dort zu sein. Die Ausfahrtsstraße aus Lüderitz taucht schnell ein in ein rußfarbenes Hügelpanorama. Gesplittertes Gneisgestein und schwarzes Dolerit-Geröll erinnern an nackte Mondlandschaften. Ein zeitloses Aus-der-Welt-Gefühl stellt sich ein. Unheimlich ist es, fast schon beängstigend. Leben scheint hier eigentlich unmöglich. Umso verwunderlicher, warnende Verkehrsschilder mit den Umrissen von Hyänen am Straßenrand zu sehen. Bald legt sich goldfarbener Sand wie ein dicker Mantel über den felsigen Untergrund. Hier ist es, rund 10 km von Lüderitz entfernt, wo plötzlich, inmitten der gewaltigen Einöde, hinter einem Schleier aus aufgewehtem Sand die Silhouette der Geisterstadt Kolmanskop zum Vorschein kommt. Sie erscheint wie ein trügerisches Abbild vergangenen Lebens, wie eine durch Frida Kahlos Gemälde „Urbane Landschaft“ inspirierte Raumplastik der surrealistischen Künstlerin Meret Oppenheim.
Ein Besuch in Kolmanskop: Das Tor zur Geisterstadt
Kurz darauf biegen wir von der Hauptstraße ab. Es geht vorbei an dem Ortseingangsschild, auf dem in altdeutsch-geschwungenen Buchstaben „Kolmannskuppe“ zu lesen ist. Am Tor halten wir an. Während ich die Formalitäten für den Eintritt in das Diamanten-Sperrgebiet erledige, schauen meine Gäste neugierig und gespannt durch ihre Fenster auf die Stadt. „Noch könnt ihr draußen bleiben“, biete ich ihnen an und ernte höhnisches Gelächter dafür. Die Fahrt geht weiter, hinein in diesen Ort, vorbei an der Bäckerei, der Metzgerei, dem Gemischtwarenladen, hinauf zum Hauptgebäude, dem alten Kasino. Die Augen starr, die Mundklappen offen und das Hirn im Wow-Modus, so öffnen wir die Fahrzeugtüren.
Der kräftige Wind reißt uns beinahe die Türen aus der Hand und peitscht uns den ersten Sand ins Gesicht. Dankbar nehmen meine Gäste diese Gelegenheit wahr, unauffällig in Richtung Erde zu blicken. Vielleicht will es ihr Schicksal ja, dass sie genau hier und jetzt hinunterschauen, um einen Diamanten von einzigartiger Schönheit zu finden. Schließlich waren es die Sandfelder in und um Kolmanskuppe herum, in denen man die Edelsteine angeblich „wie Pflaumen unter einem Pflaumenbaum“ auf der Wüstenoberfläche entdecken konnte – kniend, liegend, im Sonnenlicht, im Mondschein. Wen packt es bei solchen Berichten nicht? Warum nicht auch 113 Jahre nach den ersten Funden 1908 an sein Glück glauben.
Geisterbeschwörung mit einem „Halleluja“ Lied
Mit dem Blick die Bodenfläche scannend geht es die Treppen hinauf ins Kasino. Im ersten Raum rechts ist heute ein sehr einladendes Café, auf das ich mich nach den Führungen immer freue. Allein die Bildergalerie mit Zeugnissen aus der Diamanten-Hochzeit ist schon einen Besuch wert. Im Raum links vom Flur ist der Souvenir-Shop untergebracht. Der hintere Bereich informiert über Diamanten, ihre Herkunft, ihre Bearbeitung und ihre Qualität. So weit so modern. Wenn man aber den Eingangsflur geradeaus durchgeht, landet man ohne weitere Vorwarnung in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Hinein geht es in den Mehrzwecksaal, damals genutzt als Turnhalle und für Veranstaltungen aller Art. Auf den langen Holzdielen stehen alte Turngeräte. Vor meinen Augen sehe ich die Männer der Turnriege über die Böcke und den Turntisch springen, den Stufenbarren bezwingen und mit Hilfe eines ungewöhnlich steil gestellten Sprungbrettes Höhe gewinnen. Den Kopf des Raumes bildet eine Bühne. Dort, wo heute in ausgestopfter Form die Tierwelt der Umgebung präsentiert steht, traten einst nicht nur lokale Künstler*innen auf, sondern auch aus dem Deutschen Reich angereiste Musik- und Theatergruppen.
Eine Kostprobe von der besonderen Akustik hier gibt uns unser lokaler Guide, dessen Führung wir uns angeschlossen haben. Kraftvoll stimmt er das Lied „Hallelujah“ von Leonard Cohen an und schlägt dabei in die Tastatur des Pianos, das ähnlich alt sein mag wie die Turngeräte. Fast erscheint es, als wolle er die Geister der Stadt milde stimmen. Während er singt, kann man sich diesen Saal festlich geschmückt gut vorstellen. Weiße Tischtücher, gefüllte Plätze und lachende Menschen, die in diesem besonderen Ambiente für einen Moment die drastischen Umstände eines Wüstenlebens um sie herum vergessen können. Über ihnen ein großer Kronleuchter, dessen Licht die diamantbesetzten Halsbänder funkeln lässt. Getragen über dem Dekolleté der aus Europa eingeschifften Haute Couture. Ergriffen lauschen sie wie wir der Musik und bedanken sich mit einem wohlwollenden Applaus.
Geisterstadt Kolmanskuppe: Lohnt sich der Besuch?
Weiter geht unsere Führung in die Museumsausstellung. Sie ist chronologisch geführt, mit vielen Bildern und Texten jener Zeit. In der Schmuggelhalle findet man die interessantesten Versuche des Diamantenraubs im Kavaliersdelikt-Format. Von hier aus geht es durch die damalige Großküche ins Freie und weiter zur Kegelbahn im Untergeschoss des Kasinos. Es war das Zuhause der Kegelgruppe „Gut Holz“. Jedes Mal, wenn ich diesen Raum betrete, juckt es in meinen Händen, selber gerne mal wieder alle Neune von der Fläche zu holzen. Es hat hier unten richtig klassische Kegelbahn-Atmosphäre. Sogar eine Bar gibt es.
Wieder draußen steuern wir nun auf die Hauptgeschäftsstraße zu. Auf dem Weg dorthin sehen wir schräg oben auf der Düne ein Staubecken. Damals wurde es regelmäßig mit Meerwasser gefüllt. Nicht nur um den Sand auf der Suche nach Diamanten auszuwaschen oder die Diamanten damit zu reinigen, sondern auch, um es als Swimming-Pool für die Bewohner der Stadt zu nutzen. Unglaublich hier in diesem Ort zu stehen und zu sehen, was die Menschen damals alles für ihr Verwöhnprogramm zur Verfügung hatten. Turnhalle, Veranstaltungssaal, Bühne, Kegelbahn, Schwimmbad … sogar ein Kreuzfahrtschiff inmitten des Ozeans mit all seinen Angeboten scheint mir selbstverständlicher als diese aufwändig gebastelte Oase im tiefsten Wüstensand.
Sand, Sand, Sand …
Die Tour ist sehr informativ. Keiner meiner Gäste kommt aus dem Staunen heraus. Die visuellen Eindrücke einer Realität, die man kaum für ‚wahr‘ halten kann, und die Erklärungen und Geschichten des Guides machen diesen Besuch zu einem echten Erlebnis. Und so versuchen wir entschlossen, uns hinter dem Guide her zu kämpfen und seinen Worten zu lauschen, unbeeindruckt von den windbedingten, stechenden Sandkorneinschlägen in unseren Gesichtern. Schnell realisieren wir, dass die Stampferei durch den Sand mit jedem Meter anstrengender wird. Anders als die Winterdienste in mitteleuropäischen Gefilden macht ein Sandschieber hier aber keinen Sinn. Die Sanddecke ist einfach zu dick. Die heutige Zufahrtsstraße vereinfacht vieles. Die ist zwar nicht asphaltiert, jedoch solide gebaut. Nur jenseits der Straße mag man wirklich lieber getragen werden oder, wie damals, die gebaute Verbindungsbahn für die Fortbewegung nutzen.
Noch bevor wir den alten Gemischtwarenladen erreichen, kommen wir an ein paar sehr verfallenen Häusern vorbei. Gebäudedecken, die einzubrechen drohen, gespaltene Wände, gebrochene Rahmen, kaputte Türen und meterhoher Sand, der sich in einer feindlichen Übernahme zurückgeholt hat, was ihm genommen wurde: Raum. Die Anblicke sind spektakulär. Der Fotograf liebt es, die Kamera freut sich. Nur wenige Besucher*innen weigern sich, sich für ein brauchbares Bild mal in den Sand zu legen oder sich der Gefahr eines einstürzenden Hauses auszusetzen. Wie mögen das damals nur die Menschen empfunden haben, die sich tagtäglich mit ihren Besen erbittert gegen das Eindringen des Sandes wehrten?
Was sieht man in der Geisterstadt: Alles da, was das Herz begehrt
Mit jeder weiteren Besichtigung steigt die Faszination und die Vorstellungskraft darüber, wie das Leben damals hier ausgesehen haben könnte: eben sehr deutsch. Zumindest für die Weißen. Die typische „Deutschländer“-Wohnung ist ausgestattet mit antiquem Mobiliar jener Zeit. Für das kulinarische Wohl und die Gesundheit sorgten die Bäckerei, die Metzgerei und der Gemischtwarenladen mit Apotheke. Das Postamt garantierte die Kommunikation mit der Heimat. Die Polizeistation sorgte für die Sicherheit. Und der Kindergarten sowie die Schule ergänzten die Erziehung und bildeten den Nachwuchs aus.
Zusammen sorgte all das dafür, dass die hier lebenden Deutschen auf Vertrautes nicht verzichten mussten. Ihre Ausstattung gehörte wie die Schürf- und Waschanlagen, das Elektrizitätswerk und die elektrisch betriebene Beförderungs- und Versorgungsbahn zu dem Modernsten seiner Zeit. Mit einem auf Ammoniak basierenden Kühlsystem konnte man selbst bei extremster Hitze Eisblöcke erzeugen, die portionsweise an die Bewohner*innen verteilt wurden. Alles kostenlos, so wie die Strom- und Wasserversorgung auch. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, was Menschen hier unter den widrigsten Umständen in einer einsamen und harten, von kompromissloser Feindseligkeit geprägten Landschaft geleistet haben.
Während meine Gruppe durch die Geschäftsstraße schlendert, fallen immer wieder Bemerkungen wie: „Ja, die haben wirklich das beste aus ihrer Situation gemacht.“ Oder: „Man merkt, wie wichtig ihnen das Deutschtum hier in der Fremde war.“ Oder: „Fühlt sich an wie ein goldener Käfig.“ Ca. 45 Minuten geht die geführte Tour durch die Geisterstadt Kolmanskop. Längst nicht alles kann in dieser Zeit gezeigt werden. Grund genug für meine Gäste, anschließend noch auszuströmen, für Fotos, für das Hospital und für die am besten erhaltenen Villen. Währenddessen setze ich mich ins Café, bestelle mir einen Cappuccino und warte auf die Zurückkehrenden, um gespannt von ihren Eindrücken des Vormittages zu hören. Der Wind hat inzwischen nachgelassen. Kein Wölkchen am Himmel, alles strahlend blau. Auf der Haut fühlt es sich nun wüstenheiß und extrem trocken an. Vielleicht sollte ich doch besser eine kalte Coke trinken.
Die Geisterstadt Kolmanskop könnt ihr ganz bequem in einer Selbstfahrerreise in Namibia einbauen. Das Tor zum Gelände ist von 8:00-13:00 Uhr geöffnet. Hier bekommt ihr auch die Tickets. Um 9:30 Uhr und 11:00 Uhr gibt es eine geführte Tour durch den Ort, wahlweise auf Deutsch oder Englisch. Sonntags nur einmal um 10:00 Uhr. Das Café bleibt an diesem Tag geschlossen. Im Eintritt sind Permit und Führung enthalten. Auch eine geführte Rundreise in den Süden Namibias ist möglich. Meldet euch bei uns und wir planen gemeinsam. Dein Traum, unsere Expertise – Dein ganz individuelles Namibia-Erlebnis.