Veröffentlicht am 28. November 2022 von Juan Proll
Incwala in eSwatini – viel mehr als das „Fest der ersten Früchte“
Gegen Ende jedes Jahres kommen Swazis aus allen Ecken innerhalb und außerhalb von eSwatini in die Heimat der Indlovukati (Königin-Mutter), um an der wichtigsten nationalen Zeremonie, der Incwala, teilzunehmen. Welche Bedeutung Incwala in eSwatini hat und wie sie abläuft, erzählt der heutige Blog.
In jüngster Zeit bezeichnen viele die Incwala-Zeremonie als das „Fest der ersten Früchte“. Doch Incwala ist mehr als das: Für die absolute Mehrheit der Swazis ist Incwala die wichtigste aller nationalen Zeremonien und das wichtigste Ereignis des Jahres. Sie sagen:
„Persönliche Freuden und Tragödien, die Geburt eines Kindes oder der Tod eines geliebten Menschen betreffen einzelne Männer und Frauen, aber die Incwala ist das starke [Zusammen-]Spiel aller Menschen.“
A Ritual of Kingship among the SwaziAuthor(s): Hilda KuperSource: Africa: Journal of the International African Institute, Vol. 14, No. 5 (Jan., 1944), pp.230-257, p.230.
Die Ausübung der Incwala-Zeremonie gibt den Swazis ein Gefühl der Zugehörigkeit und stärkt ihre Identität. Die Teilnahme an den zeremoniellen Riten und den immanenten Gebeten an die Vorfahren beschert ihnen Erfüllung. Mit ihr kommt Sicherheit und Bestätigung. Gleichzeitig wünscht Incwala, Bürger*innen und Adel in einer soliden symbiotischen Beziehung zusammenzubringen, die sich über Hierarchien in der Gesellschaft, über Ungleichheiten, Armut oder Wohlstand hinwegsetzt und die Swazis zusammenschmiedet.
Der König ist das bindende Glied zwischen den Menschen aber auch zwischen ihnen, ihren Vorfahren und ihrem Gott. Diese zentrale Rolle macht den Monarchen zum wichtigsten Akteur in einer ‚heiligen’ Zeremonie. Er wird als das Symbol der Einheit gesehen. Gäbe es keinen König, gäbe es auch kein Incwala. Um ihn herum gibt es aber eine ganze Reihe von Würdernträgern wie Priester oder Dorf-Häuptlinge, die rituell alles tun, um die Rolle ihrer Majestät zu stärken.
Incwala hat eine spirituelle Kraft, die Außenstehenden weitgehend verborgen bleibt. Außerdem bleiben viele seiner inneren Abläufe und Symboliken für unbeteiligte Beobachter*innen geheim. Im Wesentlichen geht es um Reinigung und Erneuerung und um das Feiern des Königtums. Touristen sind willkommen, aber nicht an allen Tagen. Zudem wird Zurückhaltung und Respekt vorausgesetzt.
Incwala – Wie Sonne und Mond alle Jahre wieder den Termin bestimmen
Der feierliche Akt findet alljährlich in etwa gegen Ende Dezember bis Anfang Januar statt. Der genaue Termin für das Ereignis kann nur sehr zeitnah auf der Basis astrologischer Beobachtungen bestimmt und veröffentlicht werden. Grund dafür ist die Bedeutung von Sonne und Mond und ihre konkrete Himmelsposition während der Incwala-Zeremonie. Dabei ist die Sonne und die Beobachtung der Sonnenwenden bedeutsamer.
Die Swazi-Kosmologie geht davon aus, dass die Erde flach und bewegungslos ist. Darüber überquert die Sonne zweimal im Jahr den Himmel auf einer mehr oder weniger regelmäßigen Bahn. In ihrer nördlichsten Position geht sie auf dem Juni-Mond unter und verzieht sich dort in ihre „Hütte“. In ihrer südlichsten Position zieht sie sich in die „Hütte“ des Dezember-Mondes zurück, ruht sich dort kurz aus, springt am nächsten Morgen wieder heraus und beginnt ihre Reise von neuem. Irgendwann in dieser letzten Phase vor der Sonnenwende – und wenn dazu der Mond für die Swazi-Kosmologen auch noch in der richtigen Position steht – beginnen die Incwala-Zeremonien.
Incwala – und „was geht ab“?
Die Große Incwala wird bereits mit vorbereitenden Ritualen eingeleitet. Darunter die Bemanti und die Kleine Incwala:
Bemanti & Belwandle
Vorneweg ziehen nationale Priester als Bemanti (Menschen des Wassers) oder Belwandle (Menschen des Meeres) los in Richtung Flüsse (innerhalb eSwatinis) und Meer (südlich von Maputo in Mosambik). Ihre Mission ist es, neben medizinischen Pflanzen auch Fluss- und Meerwasser zu holen, mit dem sie im späteren Verlauf der Zeremonie den König reinigen und stärken. Diese Männer haben einen gehobenen Status im Land, der Oberpriester gilt als führender Häuptling. Unterwegs werden sie von den Menschen in ihren Hütten aufgenommen. Bier wird gereicht und ein Tier geschlachtet, dessen Schwanzschweif später die geheiligten Gefäße schmückt.
Kleine Incwala
Sobald die Bemanti und Belwandle zurück sind, heißt es auf das „Go“ der Swazi-Kosmologen zu warten. Sobald Sonne und Mond in der gewünschten Position sind, werden sie in die royale Hauptstadt Lobamba gerufen und treffen sich dort mit dem König im Viehgehege.
„Ein seltsamer Ort“, mag manche*r denken. Aber in der Swazi-Tradition ist er ein sehr bedeutsamer Platz, denn er hat sowohl rituelle als auch praktische Bedeutung. Mit der Menge der Rinder symbolisiert er den Vorrat an Reichtum und Prestige. Außerdem enthält er versiegelte Getreidegruben – gut geschützt vor Diebstahl und Feuer. Das Viehgehege, auch „Kraal“ oder „Sibaya“ genannt ist ein kreisförmiger Bereich, der von großen Baumstämmen umzäunt ist, deren Lücken wiederum mit Zweigen gefüllt sind.
Der Kraal seiner Majestät ist riesig. Er bietet daher genug Raum für ein weiteres kleines, von Baumstämmen umschlossenes Gehege. Während der Incwala ist dies das Herzstück der Zeremonien, es ist das Inhlambelo, das private Heiligtum des Königs. Die Bemanti und Belwandle legen ihre heiligen Gefäße und Medikamente hierin ab und übergeben sie damit der Obhut der Ratsmitglieder.
Große Incwala in eSwatini – Ablauf
Es folgt die Große Incwala: Eine Woche intensiver Festlichkeiten und komplexer Zeremonienfolgen halten das Land und seine Leute im Atem. Sie werden die ganze Zeit von Incwala-Tänzen und -Liedern begleitet. Mit einem bescheidenen Ausschnitt aus den täglichen Programmen will ich euch zumindest einen kleinen Eindruck verschaffen:
Tag 1
Unverheiratete Jungs und Männer, die auch noch keine sexuellen Beziehungen hatten (zumindest nicht mit dem Ergebnis einer Schwangerschaft), machen sich von einer der königlichen Residenzen auf einen insgesamt ca. 50 – 75 km langen Weg. Ziel ist es, im Licht des Vollmonds Äste des heiligen Baumes Lusekwane (eine Akazienart) zu schneiden. Heilige Lieder werden dabei gesungen. Mit den frisch geschnittenen Ästen „am Mann” zeigt sich in den nächsten Stunden, ob irgendeiner der Mitlaufenden geschummelt hat. Denn hatten sie doch schon Sex, so würde ihr Lusekwane-Zweig verwelken und sie würden sich zum Gespött aller machen.
Tag 2
Bei ihrer Rückkehr sind es vor allem junge Frauen, die auf „verdörrte Wünschelruten“ achten. Wohl den Mannen, die es an diesen kritischen Blicken vorbei schaffen und ihre frischen und kraftvollen Lusekwane-Zweige im königlichen Viehstall ablegen können. Die Ältesten flechten diese Zweige zwischen die Baumstämme des Inhlambelo. Die Menschen glauben, dass wenn der König von den Lusekwane-Zweigen umgeben ist, er wiedergeboren, verjüngt und gereinigt wird und dies für alle ein neues Leben, zusätzliche Tugend und Stärke und nationale Einheit einleitet.
Tag 3
Morgens schließen die Senioren die noch bestehenden Lücken im Inhlambelo mit Emacembe. Das sind blatttragende Zweige des Mbondvo-Bushes (rote Buschweide/Combretum apiculatum), die von Kindern im nahen Umfeld des Kraals gepflückt, abgerissen oder abgeschnitten wurden.
Am Nachmittag stürmt ein frei gelassener Stier (Inkunzi), eigentlich ein Ochse, aus dem Inhlambelo heraus. Mit bloßen Händen müssen nun die Jungs und Männer der Lusekwane-Expedition das Tier überwältigen und es in das Heiligtum zurückbringen.
Tag 4
Haupttag: Alle Hauptakteure treten bei einem spektakulären Festzug im Kuhstall auf; der König und die Regimenter erscheinen in voller Kriegskleidung und tanzen zu einer Reihe von Liedern. Der Tag dient verschiedenen Ritualen zu Themen wie Liebe und Hass, Sesshaftigkeit und Migration, Vertrauen und Misstrauen, Rebellion und Gehorsam, Leben und Tod.
Aber ein immer wieder besonders herausgestellter Teil dieses Zeremonientages ist das „Essen der ersten Frucht”. Luselwa ist eine kürbisartige Wildfrucht, dessen Innereien seine Majestät auf dem Gipfel der Zeremonien zusammen mit ein paar reinigenden Kräutern isst. Sehr vereinfacht gesagt eröffnet er damit die Landwirtschaftssaison und stärkt die Hoffnung auf eine gute Ernte. Am Ende dieses Rituals wird die Schale weggeworfen. Da sie aber nicht auf dem Boden landen darf, versuchen Lusekwane-Geläuterte dies zu verhindern und die Schale (mit einem schwarzen Schild) aufzufangen.
Tag 5
Heute ist Abstinenz angesagt. Der König verweilt zurückgezogen in seiner „großen Hütte“. Und die Bemanti durchstreifen die königliche Hauptstadt, um sicherzustellen, dass Menschen hier die Regeln dieses Tages einhalten: weder sexueller Kontakt noch baden, Schmuck tragen, auf Stühlen oder Matten sitzen, Hände schütteln, kratzen, singen und tanzen sind erlaubt.
Tag 6
Am Tag des Feuers marschieren die Regimenter des Königs in einen Wald und holen Feuerholz. Unweit des Inhlambelo bereiten die Ältesten ein großes Feuer vor. Darauf werden bestimmte Gegenstände verbrannt, die das Ende des alten Jahres bedeuten. So landen auf dem Scheiterhaufen Gegenstände, die bei der Zeremonie verwendet wurden: darunter das Kostüm des Königs, vom König weggeworfenes Bettzeug und die Überreste des rituell geschlachteten Stiers.
Währenddessen tanzen und singen die Hauptdarsteller im Kraal. Anschließend bleibt der König bis zum nächsten Vollmond zurückgezogen, bis die Lusekwane-Zweige entfernt und verbrannt werden.
eSwatini ist das letzte Königreich mit einer absoluten Monarchie in Afrika. Zu seinen jährlichen kulturellen Höhepunkten gehört das Incwala. Jahrhunderte alte Traditionen leben hier weiter. Für Reisende ein ganz besonderes Erlebnis. Aber auch sonst hat das kleine Land viel zu bieten. Daher stehen wir auch für Rückfragen und zusätzliche Unterstützung bei der Planung eurer eSwatini-Reise bereit. Melde dich bei uns! Dein Traum, unsere Expertise – Dein ganz individuelles eSwatini-Erlebnis.