Veröffentlicht am 15. Februar 2016 von Juan Proll
Computerspende
Oh, du wunderschönes Kapstadt … mit deinen einladenden Stränden und lebendigen Nightlife-Vierteln vor atemberaubender Tafelberg-Kulisse. Wie sehr ich mich freue, hier zu sein … du unwiderstehlicher Ort! Tiefblaues Wasser, das kraftvoll in die Buchten schwappt. Sonnenstrahlen, die neugierig durch die Straßen fluten. Sie hüllen die Fassaden der bunten Häuser des Bo-Kaap-Quartiers in ein bezauberndes Licht und meine Augen in einen Schleier der Leidenschaft. Vergessen ist alles Drumherum … die Armut, die Townships und Stadtteile wie Belhar, in das es mich an diesem Morgen zusammen mit meinem Kollegen Benjamin führt.
Unsere Mission hier: aussortierte Firmen-Laptops einer sozialen Einrichtung spenden.
Belhar liegt in den sogenannten Cape Flats – Synonym für eine Ansammlung von dicht besiedelten Wohngebieten. Es ist ein flaches, sandiges Land, dessen Bebauung in den 1950er Jahren begann, als es unter der Apartheid den Weißen darum ging, Kapstadts Stadtzentrum von den Schwarzen und Farbigen zu befreien. Belhar liegt etwa 25 km östlich der Innenstadt am Nordrand der Cape Flats. Heute leben dort rund 60.000 Menschen, überwiegend Farbige. Angaben über die Arbeitslosigkeit sind widersprüchlich. Die letzte Volkszählung von 2011 unterscheidet für diesen Stadtteil eine „Arbeitslosenquote“ von 21,38% von einer „In-Arbeit-Quote“ in Höhe von 47,86%. Wohl denjenigen, die verstehen, warum Letzteres nicht automatisch eine reale Arbeitslosigkeit von 52,14% bedeutet. Mehr als 55% der Bewohner liegen bei einem monatlichen Haushaltseinkommen (!) von unter 350,- EUR für eine im Schnitt 4- bis 5-köpfige Familie.
Wie bei den meisten Apartheidghettos hat man sich auch in Belhar wenig für die Stadtteil-Entwicklung und Instandhaltung interessiert. Viele Straßen und öffentliche Plätze wirken schrottig und vernachlässigt, ärmlich und erbärmlich. Überall entdecke ich herumliegenden Müll. Die Fahrt hier hinein stört deutlich meine innere Harmonie und mein Gefühl für städtebauliche Ästhetik. Es ist eine der typischen Gegenden, wo ich mich nicht über fortschreitenden Vandalismus wundere, weil es eigentlich nichts wirklich Schönes gibt, mit dem man sich identifizieren könnte und was man gerne erhalten möchte. Meine Tendenz ist klar: „Lass uns schnell wieder rausfahren!“
Auch das Belhar Community Center – unser heutiges Ziel – fügt sich zunächst widerstandslos in die Reihe meiner Eindrücke. Alles ist hoch umzäunt. Nato-Draht sorgt für zusätzliche Abschreckung. Die Türen sind vergittert und die Außeneinheiten der Air Conditioning ebenso. Benjamin klopft an die Tür, … doch nichts passiert. Er klopft erneut und versucht es gleichzeitig mit Rufen, … aber wieder nichts. Erst ein Passant vor dem Gebäude weist uns auf den Seiteneingang hin. Dort finden wir endlich auch Einlass. Maria, eine schwergewichtige Frau im sonniggelben T-Shirt, öffnet uns das Tor.
Kaum betreten wir das Grundstück, erwacht dieser fast tot wirkende Stadtteil zu unerwartetem Leben. Einige Erwachsene füllen plötzlich den Hof und grüßen uns wohl wollend. Ihnen folgen Horden von Kleinkindern, begleitet von herzhaft ansteckendem Lachen und aufgeregtem Gegröle. In ihrer farbenfrohen Kleidung sind sie gleich ein augenfreundlicher Kontrast zur Eintönigkeit der Umgebung. Ich taue auf, fühle wieder Raum in meiner Brust.
Schließlich treffen wir Chris. Er leitet dieses Center und führt uns sogleich in das Medienzentrum. Sechs Fest-Computer stehen hier ebenso wie drei Telefone mit einer extern angeschlossenen Zähleinheit. Dieser Bereich kann auch von Erwachsenen der Community genutzt werden … für Telefonate, für das Schreiben von Lebensläufen, für Ausdrucke, für Internetrecherchen usw. … Unsere gestifteten Laptops werden im geschützteren Nebenraum ihren Platz bekommen. Diese können von dort bei Bedarf sowohl für Projektentwicklungs- oder Verwaltungszwecke eingesetzt oder für schulische Lehr- und Übungseinheiten ausgeliehen werden.
Das Belhar Community Center ist eine Multifunktionseinrichtung, die kostenlos vor allem Vorschule und Tagesbetreuung bereit stellt und zusätzlich – max. gegen bescheidene Entgelte – kommunikationsbasierte Angebote für die infrastrukturell benachteiligten Erwachsenen der Gemeinde offeriert.
Es war jene Maria, die uns zuvor an der Pforte empfing, die im Jahr 2001 begann, in einem Verständnis von Nachbarschaftshilfe, neben ihren eigenen Kindern auch die Kids anderer Eltern zu betreuen. 2003 bekam sie dann mit der Einrichtung des Belhar Community Centers die staatliche Unterstützung an ihre Seite. Heute werden in diesem Zentrum bis zu 120 Kinder täglich betreut, entweder vorschulisch gefördert oder nach der Schule hausaufgabentechnisch betreut. Maria ist hier eine pädagogische Institution.
Nach dem Medienzentrum führt uns Chris in den Gemeindesaal des Zentrums. Doch statt einer multifunktionalen Leere entdecken wir vor uns ein kleines Vorschul-Wunderland … zumindest für südafrikanische Verhältnisse. Mit bescheidenen Mitteln konnte hier eine Basis-Ausstattung herbeigeschafft werden, die lernmotivierend wirkt. Die große Halle ist noch dazu in kleine Séparées aufgeteilt, die es ermöglichen, die Meute der Kinder in manövrierfähige Einheiten zu splitten. In einer Ecke gibt es sogar Baby-Betten. Also wenn schon im Vorschulunterricht einschlafen, dann doch wenigstens stilvoll gebettet.
Da drinnen gerade zwischengereinigt wird, befinden sich die Kiddies draußen auf dem Spielplatz. Eine Anlage, die mir mit der Vielfalt ihrer Spielgeräte ein leises aber bewunderndes Pfeifen entlockt. Der Spaß im Gesicht der Kinder ist offensichtlich.
Eigentlich sind spätestens hier meine Erwartungen schon übertroffen. Doch es folgt noch mehr: Ein weiteres Ziel des Centers ist die nachhaltige Nutzung erneuerbarer Energien und agrarwirtschaftlicher Praktiken. So kommen hier zum einen Solarpaneelen ebenso zum Einsatz wie Techniken der Regenwassergewinnung und Wasseraufbereitung. Zum anderen gibt es eine Fischzucht und den landwirtschaftlichen Kleinanbau von Gemüsen.
Sogar Rinder gehören zum Bestand. Alles in allem also eine wertvolle Gelegenheit, den an Beton gewöhnten Kindern eine Erfahrung von Natürlichem zu vermitteln. Ein Ansatz, der durch Projekt-Kooperationen mit den nahe gelegenen Schulen langfristig gesichert werden soll.
Benjamin und ich sind wirklich beeindruckt von den Möglichkeiten des Centers. Es fühlt sich gut an für uns, gerade die Arbeit hier mit unseren Laptop-Spenden zu unterstützen. Sie werden dabei helfen, zukünftig auch die Medienkompetenz im Bereich der modernen Kommunikationsmittel zu entwickeln. Noch mutet es nur witzig an, bei dem Abschlussbild vor, neben und hinter unseren Laptops diese süße Bande von Knirpsen stehen zu sehen.
Der Abschied von dieser kleinen, hoffnungsvollen Oase des Townships fällt fast schon schwer. Auch wenn die Kleinen unseren Besuch kaum begreifen, winken sie uns freudig hinterher. Wir müssen weiter, … das nächste soziale Projekt in einem anderen Stadtteil wartet bereits auf uns.