Veröffentlicht am 7. September 2020 von Juan Proll
Wo gibt es heute noch Wildpferde? Die Wildpferde der Namib
Im Süden Namibias, zwischen Lüderitz an der Atlantikküste und Aus, beherrscht die Namib, eine der trockensten Wüsten der Welt, das Landschaftspanorama. Tiefer Sand, vereinzelt ein paar vertrocknete Grasbüschel und meist schroffe, vegetationslose Felsformationen schaffen eine Kulisse, die an Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ erinnert. Dass ausgerechnet hier die einzigen Wildpferde Namibias leben, erscheint ähnlich surreal wie dahinfließende Uhren auf einem Bild des Künstlers Dalí. Wie ist das möglich?
Die Wildpferde der Namib – Woher sie stammen
Die wilden Pferde der Namib: Seit 105 Jahren gibt es sie schon in dieser Gegend. Ihr Ursprung geht höchstwahrscheinlich zurück auf die turbulenten Zeiten des 1. Weltkriegs. Vermutlich bildeten entlaufene Pferde eines Gestüts in der Region den Kern der Herde. Zu ihnen mögen sich Armeepferde von südafrikanischen Unionssoldaten und deutschen Schutztrupplern gesellt haben, die die Kriegsgemetzel ihre Reiter überlebten. Allein blieben sie in der Wüste zurück.
Befreit von allen Zwängen zogen die „Namibs“, wie sie inzwischen gerne genannt werden, dürftig sättigenden Weiden und dem Wasser hinterher. Schließlich erreichten sie den Bahnhof von Garub, ca. 90 Kilometer östlich von Lüderitz – der Ort, an dem es sie auch heute noch gibt und wo man sie mit etwas Glück auf einer Namibia-Reise sehen kann. Garub war aufgrund dort gefundener Wasserquellen ein strategisch wichtiger Ort der deutschen Kolonialherren. Als 1907 die Zugverbindung nach Lüderitz ihre Arbeit aufnahm, diente der Bahnhof gleichzeitig als Pumpstation für die Wasserversorgung von Dampflokomotiven und Küstenorten. Garub war die einzige zuverlässige Wasserquelle in diesem dürren Landstrich. Das begriffen auch ganz schnell die Pferde.
Die Namibs ließen sich also in dieser unwirtlichen Gegend des Wüstenlandes nieder. Eine Gegend, die selbst für die Härtesten eine Herausforderung darstellte. Menschen gab es deshalb sowieso nicht viele. Zudem war der Bahnhof Teil des Diamantensperrgebietes. „Unbefugten“ war daher der Zugang verboten. Das gewährte den Pferden damals zusätzlichen Schutz. Damit waren die neuen Bedingungen für diese bestens domestizierten Pferde der ersten Generation gesetzt. Ihrer Verwilderung in den nachfolgenden Generationen stand nichts mehr im Wege. Sie entwickelten sich zu einer eigenständigen Rasse.
Wo gibt es heute noch Wildpferde – Überleben in der Wüste
Allein zurückgelassen passten sich diese Überlebenskünstler den kargen Bedingungen in den weiten, rauen Flächen um Garub an und entwickelten sogar ihre eigene Sozialstruktur. Die Wasserstelle von Garub ist für sie bis heute weit und breit die einzige Tränke, wollen sie den Menschen nicht zu nahe kommen. Doch Futter gibt es hier kaum. Vor allem wenn die ohnehin sehr bescheidene Regenzeit vorbei ist und der mager vorhandene Grasbewuchs ausdörrt, heißt es, sich das Futter woanders zu suchen.
Da sie auf ihren Nahrungswanderungen keine Wasserflaschen mitnehmen können, sind die Herausforderungen an ihre Überlebensfähigkeit besonders hoch. Schließlich muss der nächste Besuch des Wasserlochs so lange wie möglich verschoben werden. Ruhige, langsame Fortbewegung ist angesagt. Spielen wird möglichst vermieden. Und tatsächlich lernten ihre Körper immer mehr, mit dem Mangel klar zu kommen. Durst bereitet ihnen heute weniger Stress als dem gewöhnlichen Hauspferd. Sie können sogar ein gewisses Maß an Dehydration tolerieren. Damit gewinnen sie Zeit für die Futtersuche und sparen viel Energie durch das weniger Hin- und Herlaufen zwischen Wasserstelle und Nahrungsquellen. In den heißen Sommermonaten (November bis März) trinken sie durchschnittlich in Abständen von 30 Stunden. In den kühleren Wintermonaten (Mai bis September) schaffen sie dagegen Intervalle bis zu 72 Stunden.
Die Ernährung der Wildpferde ist allerdings etwas einseitig. Sie besteht überwiegend aus Gras. Ein bisschen Abwechslung kann da nicht schaden. Also schnagern sie auch gerne ihre berühmten Pferdeäpfel. Echtes Wüstenobst. Und sehr nährstoffreich. Aber keine Sorge – es ist kein Grund zu glauben, dass ihnen die heiße Wüstensonne das Gehirn weichgekocht hätte. Vielmehr ist dies ein natürliches Verhalten bei vielen Tieren und nennt sich Koprophagie. Gerade bei Jungtieren ist es häufiger zu beobachten. Sie fressen gerne den Kot ihrer Mutter und nehmen damit wichtige Mikroorganismen und Bakterien auf. Dies fördert die gesunde Entwicklung ihrer eigenen Darmflora.
Unter normalen Umständen hört es im Erwachsenenalter bei vielen Pferden auf. Tut es das nicht, wird es gerne als Hinweis auf irgendeine Störung gedeutet. Unter Wüstenbedingungen erübrigt sich die Frage nach dem Warum: Der Mist der Wildpferde enthält fast dreimal mehr Fett (1,99 Prozent) als das trockene Gras der Region und fast doppelt so viel Protein (6,1 statt 3,1 Prozent). Außerdem verdauen Pferde pflanzliche Zellulose generell nicht so effizient wie Wiederkäuer. Daher ist der Dung nicht nur ein energiereiches Futter, sondern auch eine Möglichkeit, unverdaute Nährstoffe in vorverdauten Häppchen zu konsumieren.
Die Wildpferde der Namib – Vom Aussterben bedroht
Niemand kann mit Gewissheit sagen, wie groß die Herde der ersten Generation war. Heute weiß man, dass die Population der Namibs aufgrund immer wiederkehrender Dürreperioden starken Schwankungen ausgesetzt ist. Bis 2015 hatte sich ihr Bestand auf durchschnittlich 200 Pferde begrenzt. Natürliche Selektion ist ein harter Gegner. Aber es gibt weitere Gefahren. Darunter Verkehrsunfälle, wenn Pferde nachts beim Überqueren der Straße von Autos erfasst werden. Und ein Rudel von Fleckenhyänen, das in den letzten Jahren verstärkt zur Dezimierung beigetragen hat. Sie machen nicht nur Jagd auf die älteren und kranken Pferde, sondern attackieren vor allem Neugeborene.
Das jüngste Ergebnis dieser bedrohlichen Gefahrenkombination wurde im Juni 2020 mit einem Bestand von 65 überlebenden Wildpferden angegeben. Seit 2012 hat es erst in diesem Jahr wieder ein Fohlen geschafft, seinen einjährigen Geburtstag zu erleben. Das Aussterben der Namibs scheint bevorzustehen. Die Frage nach Handlungsmöglichkeiten ist brennender denn je.
Im letzten Jahr hat das Ministerium für Umwelt und Tourismus versucht, die Hyänen umzusiedeln. Drei wurden sogar getötet, weil es mit ihnen nicht funktionierte und sie weiter Fohlen angriffen. Inzwischen gibt es einen Management Plan, der das Überleben sichern soll. Zusatznahrung, weitere Wasserstellen und Raubtier-Überwachung sind wichtige Bestandteile darin. Denn zwei Dinge möchte man auf jeden Fall nicht: Weder das Aussterben der Wildpferde noch ihr Umsiedeln in vermeintlich sicheres Gebiet.
Die Wildpferde gehören heute zu Garub wie der Sand in die Wüste. Sie gehören zu den Top-Touristenattraktionen in Namibia und verkörpern den namibischen Geist der Freiheit. Seit über 105 Jahren sind die Namibs nun Teil der Geschichte des Landes. Eisern widerstehen sie den Herausforderungen ihrer lebensfeindlichen Umwelt. Und doch sind sie so gutmütig und nahbar, wenn wir Menschen ihnen in ihrem Territorium begegnen. Am besten erleben lässt sich das an der eingerichteten Aussichtsplattform am Rande der B4 zwischen Aus und dem Bahnhof Garub. Von dort hat man einen wunderbaren Ausblick auf die hierher verlegte Wasserstelle und die einzigartigen Landschaften der Namib-Wüste.
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