Veröffentlicht am 16. November 2015 von Juan Proll
Die San – Leben am Rande der Gesellschaft
Einst nannten Weiße sie verächtlich das „Buschvolk“, weil sie halbnackt und unzivilisiert ein nomadisches Leben mit primitiver Ernährungsweise lebten, in simplen Unterkünften wohnten und eine merkwürdige Sprache mit Klick- und Schnalzlauten sprachen. Man hielt sie sogar für eine Vorstufe des Menschen, die noch nicht alle Phasen der menschlichen Evolution durchgemacht hatte.
Heute nennt man diese Volksgruppe die „San“ und versucht, sie als Opfer des globalen Kapitalismus zu verstehen, um ihnen eine weniger diskriminierte Existenz zu verschaffen. Doch zu helfen scheint es wenig: die Invasion ihres Lebensraums durch andere Völker, vor allem aber die systematisch forcierte Isolation der San durch weiße Landnahme hat sie schon früh an den Rand kolonial geprägter Gesellschaften gedrängt, wo sie bis heute häufig verloren zwischen Tradition und Moderne leben.
Die größte Wertschätzung scheinen die San gegenwärtig vor allem von Touristen zu erhalten. Eine Begegnung mit den San sehen viele Besucher als einen echten Höhepunkt ihrer Reise an. Und zu recht, wie ich finde. Denn was diese Menschen unter schwierigsten Lebensbedingungen in den unwirtlichsten Gegenden des südafrikanischen Kontinents zu leisten im Stande waren, ist mindestens so beeindruckend wie die Erfindung des Flugzeuges, mit dem ich heute so einfach die Welt bereisen kann.
Als Jäger und Sammler folgten sie in kleinen Familienverbünden den Jahreszeiten und dem Regen, wohl wissend, wann und wo sie am besten Wild erlegen oder Feldfrüchte ernten konnten. Sie legten Wasservorräte mit Hilfe von Straußeneiern an und wussten sich medizinisch mit den Heilkräften der Pflanzenwelt zu helfen. Ein Besuch bei ihnen und eine kleine Demonstration ihres Wissens täuscht zwar nicht über die Herausforderungen ihres Lebensraumes hinweg, macht aber gleichzeitig auch deutlich, wie komplex wir heute unser Überleben gestalten.
Die meisten der rund 100.000 San leben heutzutage in der Kalahari-Region der südafrikanischen Länder, ca. 50.000 in Botswana, 40.000 in Namibia und einige Tausend in Angola, Südafrika, Sambia und Zimbabwe.
Nur noch einem kleinen Teil von geschätzten 1-3% ist es möglich –allerdings eingeschränkt –, ihren jahrtausend alten Vorstellungen vom Leben zu folgen. Die große Mehrheit dagegen hat sich an festen Orten niederlassen müssen und versucht seitdem mühselig, unter den neuen Bedingungen zu überleben: Sie versuchen sich als einfache Angestellte von Weißen, als Farm- oder Minenarbeiter, sogar als Ackerbauer und Viehzüchter oder aber als Kunsthandwerker und Performer in touristisch ausgelegten Reisen in die San-Vergangenheit.
Von den schwierigen Bedingungen ihres Seins bekommen Touristen in der Regel wenig mit. Ein Encounter mit einer der durchaus sehr unterschiedlichen San-Gruppen lässt die eine Seite häufig aufblühen in ihrer Suche nach Sinn und Lebensfreude und verhilft der anderen Seite zu unvergesslichen Eindrücken über das Verhältnis und möglichen Harmonie von Mensch, Tier und Natur.
Wenn San z.B. an einem Termitenhügel die Spuren eines Ameisenbären fanden und ihnen folgten und diesen dann erwischen konnten, brachten sie ihn erst zurück zum Termitennest. Dort schnitten sie ihm den Bauch auf, damit die noch überlebenden, nicht verdauten Termiten zurück in ihren Bau konnten und dieser als Futterressource für weitere Ameisenbären erhalten blieb. Erst danach ging man glücklich mit der Beute des Tages nach Hause.
Manchen sind vielleicht schon die künstlerischen und kommunikativen Fähigkeiten der San durch Bilder von Felsgravuren der Weltkulturerbe-Stätte bei Twyfelfontein oder Felszeichnungen an der Spitzkoppe und dem Brandberg Namibias bekannt. Noch mehr haben sich sehr wahrscheinlich aber über den Film „Die Götter müssen verrückt sein“ mit den San vertraut gemacht. Unabhängig davon wünsche ich in jedem Fall allen Reisenden ins südliche Afrika einmal eine persönlichere Begegnung mit einer San-Gruppe, sei es auf einer der Lodges, in einem „Living Museum“ oder in einem ihrer angestammten Lebensgebiete wie z.B. der Central Kalahari Game Reserve in Botswana. Ein bleibender Eindruck ist garantiert!