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Veröffentlicht am 24. August 2015 von Juan Proll

Beschneidung – das Zufahrtstor zur Männlichkeit im Xhosa-Volk Südafrikas

Beschneidung hat nichts mit Schnittblumen zu tun sondern ist die teilweise oder vollständige Entfernung äußerer weiblicher Geschlechtsorgane oder der männlichen Vorhaut. Während die Beschneidung der Frauen bereits in 24 afrikanischen Ländern geächtet ist, wird die der Männer immer noch weitgehend auf dem ganzen Kontinent praktiziert.
So z.B. auch in Südafrika.

In Südafrika geht die Beschneidungszeit gerade zu Ende und immer noch füllen Nachrichten über misslungene Beschneidungen mit Todesfolge die Zeitungen. Betroffen sind vor allem junge Xhosas, dessen Volk über 8 Mio. Menschen angehören und das hauptsächlich in den abgelegenen Hügellandschaften des Ostkaps beheimatet ist. Die Xhosa stellen mit geschätzten 80% auch die größte Zuwanderungsgruppe in Kapstadts größtem Township Khayelitsha, wo sie ebenfalls ihre Beschneidungskultur ausleben. Eine gute Gelegenheit also, mal das Gespräch mit Xhosa-Müttern und -Söhnen zu suchen, um ein bisschen mehr über die Hintergründe zu erfahren. Genug, um einen bleibenden Eindruck tief verwurzelter Kultur zu bekommen.

Alljährlich beginnt mit den Schulferien im Juni/Juli und im Dezember/Januar die Beschneidungssaison und Zehntausende von Xhosa-Jungs ziehen für etwa drei Wochen oder länger hinaus in den Busch. Was vielleicht klingt wie der Beginn eines netten Sommercamps für elternmüde Kinder ist aber tatsächlich eher die Kasernierung in eine Erziehungsstätte. In ihr wird der Schritt vom Jungen zum Mann vollzogen.

Die Mehrheit der Boys in diesen sogenannten Initiierungsschulen ist um die 18 Jahre alt und hat gerade die Regelschule abgeschlossen. Das Ende der Schulzeit markiert einen Übergang in die Erwachsenenwelt und scheint daher für viele heute der geeignetere Zeitpunkt zu sein als der anstehende 21.ste Geburtstag, der früher bevorzugt für die ritualisierte Mannwerdung gewählt wurde.

Der wahre Xhosa-Mann

Wer den Weg der Initiierung antritt, taucht ein in eine geschlossene Männerwelt, die wie in einer Brüderschaft ihre eigenen Regeln und Gesetze hat. Wichtigstes Prinzip: Niemand redet über seine Erlebnisse und Erfahrungen mit Außenstehenden.
Informationen zu bekommen ist daher schwer und wenn diese auch noch veröffentlich werden, dann ist das wie ein massiver Eingriff in die Intimsphäre der verschworenen Männergemeinschaft. Schon gar nicht wollen sie diese öffentlichen Diskussionen über Richtig und Falsch, und ob man die Beschneidung selbst nicht besser in einer modernen Arztpraxis unter Anästhesie durchführt, wenn sie schon sein muss. Die Todesfälle seien bedauerlich, abfaulende Penise in Folge falscher Behandlung auch, aber der Weg zum wahren Xhosa-Mann führe allein über die traditionelle Beschneidung – so ihre Auffassung.

Selbst wer im Verlauf des traditionellen Rituals aus gesundheitlichen Gründen abbricht, um sein Leben oder seinen Penis zu retten, hat es nicht „über den Fluss“ geschafft, zeigt Schwäche und gilt nicht als Mann. Und wer kein Mann ist, bleibt sein Leben lang ein „Boy“. Entsprechend wird er behandelt bzw. respektiert. Im Klartext heißt das, dass ein „Boy“  z.B. bei wichtigen Zeremonien – Hochzeit, Jubiläen und sonstigen Feier- oder Trauerlichkeiten – immer einen Platz außerhalb des „inneren familiären Kerns“ bekommen. Vielleicht nicht gerade bei den anderen Jungs, aber irgendwo am Rande. Auch spricht man mit ihnen nicht über „Männer-Angelegenheiten“, wie z.B. Ehe, Sex oder Gemeinde bezogene Fragen. Ein erwachsener „Boy“ wird generell mit einem Hund verglichen – ein Wesen mit einem Schwanz hinten dran, das zwar irgendwie der Gemeinschaft angehört, aber ansonsten wertlos und vom Wohlwollen der anderen abhängig ist.

Diese Überzeugungen können sehr skurrile Züge annehmen. Ich sprach z.B. mit einem, dessen Vater nicht beschnitten ist. So lange er als Sohn „Boy“ war, war das alles kein Problem. Seitdem er aber „Mann“ ist, kann er seinen Vater nicht mehr voll und ganz respektieren. Sein Vater ist ein „Boy“ und von einem solchen kann er weder Forderungen noch Ratschläge akzeptieren. Gleichzeitig beschämt ihn dieser Umstand, weil er für die Xhosa-Gemeinschaft der Sohn eines „Boys“ ist. Normalerweise darf ein Boy keine Ehe eingehen.

Für mich zeigt sich gerade in diesem Beispiel die ganze Tragik des kulturellen Konzepts: Mann sein wird allein darauf reduziert, erfolgreich und beschnitten durch die Initiierungsschule gegangen zu sein. Es spielt keine Rolle, dass sein Vater 65 Jahre alt und verheiratet ist, Kinder gezeugt und groß gezogen hat, erfolgreich im Beruf ist, ein Haus besitzt oder durch soziales Engagement auffällt.

Egal, ob man in den Xhosa-Hochburgen am Ostkap lebt oder in Khayelitsha. Die Gespräche zeigen nur allzu deutlich, wie stark diese Tradition in ihrer Kultur verankert ist und wie groß die soziale Kontrolle. Es ist der Moment, an dem Freundschaften zerbrechen oder Familiengefüge auseinandergerissen werden können. Es ist der heikle Augenblick, der im Zweifelsfall auch in der gewaltsamen Beschneidung enden kann. Bestes Beispiel dafür: Südafrikas heutiger Sportminister Fikile Mbalula. Er ist Xhosa und galt schon 2008 als intelligent, humorvoll, zielstrebig und eloquent. Bis zu jenem Jahr war er, bereits 37-jährig, Vorsitzender der ANC Jugendliga, der Nachwuchsorganisation der stärksten Partei des Landes. Er war schon deswegen bei den Xhosas ein angesehener Mann, … zudem verheiratet. Doch dann kam heraus, dass er noch ein „Boy“ war. Unakzeptabel für das Xhosa-Volk wurde er kurzerhand entführt und in eine Initiierungsschule gesteckt.

Wer jetzt denkt, dass man solche oder ähnliche Entführungsfälle bei der (Ostkap-)Polizei melden könnte, vermutet nicht, dass auch diese mehrheitlich aus kulturverbundenen „Männern“ besteht. Freiheitlich-demokratische Rechte hin und her aber der kulturelle Zwang zieht mehr. Ein „Boy“ als Minister, das geht vielleicht für die Zulu oder die „Coloureds“, aber nicht für die Xhosa. Hier muss ein Minister aus den eigenen Reihen respektiert werden können. Der immense soziale Druck ist nur allzu offensichtlich.

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Rite of Passage – die ritualisierte Reise in die Männerwelt

Der Übergang vom Jugendlichen zum Mann erfolgt über drei Phasen: die Ablösung von der Kindheit, das Ritual der Beschneidung in der Initiierungsschule und der Eintritt in die Männerwelt. Man lässt also als Kind alles hinter sich, schlägt den Weg der Initiierung ein und kehrt später als Mann zurück.

Wenn die Reise in die Männerwelt bevorsteht, werden die Spielsachen verschenkt, das Handy aufgegeben, der Schlafplatz runderneuert und die Kinderkleidung verbrannt oder an jüngere Brüder weitergegeben. Eingehüllt in eine jungfräuliche Decke geht es nun für die folgenden drei oder mehr Wochen in die Initiierungsschule, die einerseits noch nah genug am Lebensort des Schützlings sein soll, um den Kontakt zu den Ahnen des Familien-Clans zu sichern, andererseits aber weit genug von der heimischen Kommune entfernt sein muss, um damit die Abkapselung von der Kindheit und die Loslösung von der Mutter deutlicher zu vollziehen. Dazu wird ihm auch in einem weiteren symbolischen Schritt gleich zu Beginn der Initiierungsschule eine Glatze geschoren und das Gesicht (später der ganze Körper) mit weißem Lehm eingeschmiert (Reinigung).

Die Initiierungsschule ist vor allem eine körperliche und psychische Schmiede für Stärke und Durchhaltevermögen. Die ersten 7-8 Tage dienen der Beschneidung selbst. Mit einem Messer, einer Rasierklinge oder einer Speerspitze wird die Penisvorhaut ohne Betäubung von einem ausgewählten traditionellen Beschneider entfernt. Die verursachten Wunden werden mit Heilkräutern versorgt. Ein traditioneller Krankenpfleger überwacht den Heilungsprozess. Um so wenig wie möglich zu urinieren, gibt es die ersten Tage keine bis wenig Flüssigkeit. Auch das Essen der ersten Woche ist speziell und enthält z.B. kein Salz. Untergebracht sind sie in einer Boma-Hütte, die am Ende ihrer Reise in die Männlichkeit hinter ihnen abgebrannt wird.

Unmittelbar nach der Beschneidung selbst rufen sie zwar aus: „Ndiyindoda“ (Ich bin ein Mann), aber tatsächlich „Mann“ mit allen Ehren dürfen sie sich erst nennen, wenn sie auch die anschließende Zeit bis zum Ende der Initialisierung mannhaft überstanden haben. Dazu gehören das tagelange Ertragen des Beschneidungs- und Heilungsschmerzes und das Durchlaufen des „schulischen“ Teils der Initiierung. Es geht z.B. um Überlebensaufgaben im Busch, wo Früchte der Natur ihre Nahrung sichern oder sie dünn bekleidet kalte Nächte überstehen. Ihnen werden Verantwortung und Respekt vermittelt sowie ihre Stellung als Mann in der Gesellschaft näher gebracht. Sie erfahren, was erlaubt und nicht erlaubt ist, was Ehre bringt oder Schande macht.

In dieser Zeit dürfen sich nicht einmal Mädchen und Frauen annähern, weil alles Weibliche als Bedrohung und Ablenkung von der Mannwerdung angesehen wird: Mütter, die Sorge um ihre Kinder zeigen, Mädchen, die verführen könnten. Sogar ein möglicher Einfluss durch Hexerei wird befürchtet. Die Noch-Jungs sind in dieser Phase instruiert, bei drohendem Kontakt mit der Weiblichkeit das Weite zu suchen.

Wenn die Initialisierten gereift und Wochen später nach Hause kommen, werden sie als Männer begrüßt und gefeiert, trinken Bier, werden beschenkt und schlüpfen in ihre neue, männlich-elegante Kleidung. Erkennbar sind sie jetzt auch an ihrem Hut bzw. ihrer Kappe, die sie fortan für eine bestimmte Zeit ständig tragen. Sie sind stolz auf sich selbst, haben eine harte Zeit gut überstanden und sind überzeugt, dass nur dieser Weg ihnen eine Identität als Mann verleiht.

Die Gescheiterten

Für die Xhosa-Jungs, die es versucht aber nicht geschafft haben, beginnt dagegen ein Leben in der Isolation, … sofern sie überhaupt überleben. Zwischen 2006 und heute (20. Juli 2015) starben offiziell 590 junge Menschen an den Folgen der Beschneidung allein in der Ostkap-Provinz. D.h. die Toten der anderen Provinzen sind hierin nicht erfasst. Man geht daher von einer noch weit höheren Dunkelziffer aus.
Im gleichen Zeitraum mussten ca. 5600 in Hospitälern notversorgt werden. Von ihnen könnte es der ein oder andere vielleicht noch einmal versuchen. Die Mehrheit von ihnen aber nicht. Sie haben entweder keinen Penis mehr oder nur noch einen verstümmelten, weil die Operation schief gelaufen oder es zu Wundinfektionen gekommen ist. Experten schätzen, dass jährlich um die 250 Beschneidungen in Penis-Amputationen enden. Es mutet daher beinahe zynisch an, dass Südafrika das Land ist, in dem im März dieses Jahres die weltweit erste erfolgreiche Penis-Transplantation verkündet wurde.